Theater einBLICK

02.10.2024

Kann der Mensch Selbsterkenntnis? (Noch nicht sicher)

Vincent Sartorius hat für den hauseigenen Kritiker*innenclub des Deutschen Theater Göttingen, der »Scharfe Blick«, die Premiere »Die Guten« besucht.
Die Guten
Zum Stück

Im Deutschen Theater Göttingen feierten vor ausverkauften Plätzen am 5.9.2024 »Die Guten« von Rebekka Kricheldorf Premiere.
Seit zweieinhalb Jahrtausenden treffen sich die von den Menschen erschaffenen Kardinaltugenden Temperantia (Mäßigung, Marie Seiser), Justitia (Gerechtigkeit, Judith Strößenreuter), Fortitudo (Mut, Charlotte Wollrad) und Prudentia (Klugheit, Andrea Strube), um über die Menschen zu debattieren. Es stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft durch die Kardinaltugenden eine bessere geworden ist. Bleibt der Mensch so, wie er schon immer war? Auf den ersten Blick sieht es gut aus. Viele Menschen leben seit neuestem nach diesen Tugenden und versuchen, sich ökologisch und gesellschaftlich zu verändern hin zu einer Utopie. Näher betrachtet jedoch verhalten sich die Menschen mitnichten so, wie sie es sich selbst durch die Tugenden auferlegt haben.
Regisseurin Meera Theunert hat hier mit ihrem Ensemble eine sehr schöne Inszenierung geschaffen, in der, bei all dem Streit zwischen den Tugenden, manches Wort gesungen und chorisch gesprochen wird. Jede hat ihr Päckchen zu tragen. Mal sind es Nichtigkeiten, mal lastet die Schwere der Welt auf ihnen. Immer mit einem Augenzwinkern wird hier satirisch die aktuelle Welt auf den Arm genommen. Man merkt, dass dieses Theaterstück von Kricheldorf erst zwei Jahre alt ist und auch die ganz aktuellen Themen besetzt werden wie Sexismus oder der Angriffskrieg gegen die Ukraine. Teilweise ist es eine Herausforderung, dem Stück zu folgen – in einem wahnsinnigen Tempo wird hier gespielt – doch die Aussage am Ende des Stückes, das die Menschen heutzutage nicht unbedingt Gutmenschen geworden sind, die bleibt hängen und stimmt nachdenklich.
Ein besonderes Augenmerk gilt der Bühne (Laura Robert) und den Kostümen (Annabelle Gotha). Im dt.2 sehen wir ein Wohnzimmer mit enorm vielen Gegenständen. Der Kniff ist hierbei, dass rund um dieses moderne Ambiente antike Bilder von Heldinnen, den Tugenden, zu sehen sind. Bei den Kostümen ist das satte Grau, nahezu außerirdisch, überall zu sehen. Jede der Schauspielerinnen trägt an ihrem Kostüm ein oder mehrere Merkmale der Tugend, die sie verkörpert. Beispielsweise hat Fortitudo eine Jacke mit dem Aufdruck eines männlichen Löwen, der ein Attribut des Mutes ist. Dies ist eine sehr schöne und anschauliche Idee, die Tugenden anhand ihrer Merkmale kenntlich zu machen. Das Besondere ist auch die Maske, der Januskopf der Temperantia. Auf dem Hinterkopf war ein zweites Mal das Gesicht der Schauspielerin zu sehen Temperantia bleibt mit sich selber im Gespräch und kann so Meinungen abwägen.
Tragik und Komik wechseln sich ab, und als Zuschauer*in wird man direkt angesprochen und angespielt. Zum Beispiel wenn wir als Zuschauer*innen Schwerter bekommen und den Mut haben sollen, rauszugehen und gegen das Heer der Sünden zu kämpfen. Die Aufführung ist ein gelungener Einstand in die neue Spielzeit des Deutschen Theater Göttingen.