Hoch oben, dem Himmel so nah, hat sich Tom, der sein Vermögen mit Mobilfunknetzen verdient hat, ein imposantes Refugium geschaffen. Erlesene Architektur, unberührte Natur, spektakuläre Aussicht und, als Gipfel des Luxus’, kein Handyempfang. Hier lebt er mit seiner deutlich jüngeren Frau Sue, unbehelligt von den Notwendigkeiten des Alltags und den gesellschaftlichen Verwerfungen, die sich in den Häuserschluchten der Stadt tief unten abspielen. Aus deren Ghettos sind die erfolgreiche Künstlerin Sophie und ihr Begleiter Jared heraufgestiegen, vielleicht um Tom als Finanzier für eines ihrer Projekte zu gewinnen. In der erlesenen Umgebung der Bergresidenz drehen sich die Gespräche des Quartetts um Kunst, moderne Sklaverei, den Riss, der durch die Gesellschaft geht. Doch die Erhabenheit des Ortes scheint die Themen zu marginalisieren. Dafür drängen sich Albträume, bedrohliche Visionen und irrationale Angstzustände in die Gesprächslücken. Welche Kräfte entfalten an diesem Ort der Selbstgewissheit ihre bedrohliche Wirkung?
Zum Autor Roland Schimmelpfennig
Roland Schimmelpfennig, geboren 1967 in Göttingen, arbeitete zunächst als Journalist. Nach einem längeren Türkeiaufenthalt studierte er Regie an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Seit 1996 ist er als freier Autor tätig, seit 2000 schreibt er Theaterstücke. Es entstanden Auftragsarbeiten für nahezu alle großen Theater im deutschsprachigen Raum, aber auch für Bühnen in Kopenhagen, Stockholm, Toronto und Tokyo. Für »Der goldene Drache« erhielt er 2010 den Mülheimer Dramatikerpreis. Sein Roman »An einem klaren, eiskalten Januarmorgen zu Beginn des 21. Jahrhunderts« war 2016 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert. Schimmelpfennig lebt in Berlin und Havanna.
Pressestimmen
Das Gift und die Vorurteile »Ein Stück, das gut zur aktuellen gesellschaftlichen Konfliktlage passt. Überzeugend gespielt … Theo Fransz inszeniert das Stück am Deutschen Theater Göttingen, die Premiere am Samstag erhielt langen Applaus … Florian Eppinger (Tom), Rebecca Klingenberg (Sue), Gaia Vogel (Sophia), Paul Trempnau (Jared) und Andrea Strube (Maria) lassen aus dieser wenig interagierenden Ausgangssituation eine intensive Atmosphäre entstehen, die die Spannung kulminieren lässt im Zerschmettern eines Glases und im Verbrennen von Geld im Kamin … Dass coronagerecht keiner dem anderen nahe kommen darf, passt inszenatorisch hier zur Stückaussage.«
Bettina Fraschke, HNA 28.9.2020
Schweigen im Angesicht der Katastrophe »Das Stück feierte am Sonntag in der Inszenierung von Theo Fransz Premiere im Deutschen Theater Göttingen … Der drohende Untergang, politische und klimatische Katastrophen, bestimmen in diesem Stück nicht nur das Kunstprojekt, sie bestimmen schon längst das Miteinander. Fransz hat das in seiner Göttinger Aufführung mit einem durchgehend ernsten Ton aufgegriffen … Minimalistisch ist die Bühne (Bettina Weller) gestaltet … Nichts lenkt hier ab vom fein-geschliffenen Text und der geschlossenen, begeisternden Leistung des Ensembles … Dicht, ernst, berührend … Tolle Ensembleleistung … Das Premierenpublikum spendet der anregenden Aufführung lang anhaltenden Applaus.«
Christiane Böhm, Göttinger Tageblatt 28.9.2020
Nur der Monsterfisch hat Zähne »Das Ensemble setzt den Text sehr passend um, niemand sticht besonders heraus, jede/r erfüllt seinen/ihren Part gelungen. Florian Eppinger bringt die innere Müdigkeit seiner Figur gut zum Vorschein, Rebecca Klingenberg das zwiegespaltene Verhältnis zu ihrem Mann ebenso. Gaia Vogel verhält sich rollengerecht eher zurückhaltend, Paul Trempnau verdeutlicht den Zorn seiner Figur gekonnt, auch wenn der Text ihm eher wenig nachvollziehbares Material dafür liefert. Andrea Strube verleiht Maria die Würde, die der Figur in der Handlung vorenthalten bleibt. Gute Darstellungsleistungen und ein überzeugendes Bühnenkonzept.«
Marcel Lorenz, unddasleben.wordpress.com 11.10.2020
Das Problem mit den Menschen »Ein eindrucksvolles Stück über die Unfähigkeit der Menschen, gemeinsam den Untergang der Welt aufzuhalten … Was das Stück so zeitlos aktuell macht, ist die greifbare Wahrheit, die es vermittelt. Alle sind sich des Scheiterns bewusst … Was festzuhalten ist, ist die Ehrlichkeit, die von den Schauspielenden glaubhaft umgesetzt wird und bis ins Publikum durchdringt. Es braucht eine Weile, bis der erste Eindruck gesackt ist, umso länger folgt der Applaus. Alles in allem handelt es sich um ein Stück, über das man wahrscheinlich noch ein paar Mal nachdenken muss. Und wer weiß, vielleicht greift der*die ein oder andere das Thema ja nochmal in der nächsten Tischgesellschaft auf, um das Gespräch fortzuführen. Denn ist Kommunikation letztendlich nicht unsere einzige Hoffnung?«
Lisa Bissinger, Scharfer Blick/Kritikerclub 5.10.2020
Die Verhältnisse – nicht mehr verhandelbar »Scheinbar höflich und bisweilen charmant und ironisch verpackt wird das geheuchelte Interesse, mit dem sich auf der Bühne des Deutschen Theaters zwei Paare begegnen … In der Inszenierung von Theo Fransz wird die Bühne zum Denkraum und das nicht nur über die Verhältnisse, denen sich Schimmelpfennigs Figuren verweigern, als ob sie nicht mehr verhandelbar wären, aber sich daraus noch ein bisschen Profit schöpfen lässt. Sei es mit kreativem Aufruhr, manifesten Feinbildern oder eben opportuner Generosität. Was an diesem Abend mindestens so eindrücklich zur Sprache kommt, ist der Verlust an Empathie. Zuhören, Anteilnehmen und sich über Widersprüche, Gegensätze und Parteilichkeiten zu verständigen, käme diesen Paaren nicht in den Sinn. Auch dafür macht das Schauspielteam zwischen den verbalen Schaukämpfen immer wieder hellhörig, wenn dann eine scheinbar wohlmeinende Attitüde zur Schau gestellt und ebenso berechnend austariert wird.«
Tina Fibiger, kulturbuero-goettingen.de 9.10.2020
Ein mitreißender Fluss »Das Stück des Dramatikers Roland Schimmelpfennig und dessen besondere Inszenierungsweise, die sich durch das Sprechen der Figuren über sich und die Szene in dritter Person auszeichnet, wird im DT überzeugend auf die Bühne gebracht. Regisseur Theo Fransz und Bettina Weller (Kostüm und Bühne) haben hier Außerordentliches vollbracht … Der neue Schauspieler im Ensemble, Paul Trempnau, ist dieser Rolle (Jared) mehr als gewachsen. Er verleiht dem Charakter Tiefe und Verzweiflung, obwohl Jared zuerst nicht besonders gedankenreich zu sein scheint … Andrea Strube spielt eine unvergleichlich überzeugende Schlüsselfigur. Mit einem bösen, eindringlichen Blick fesselt sie das Publikum. Maria ist eine Identifikationsfigur, denn sie sieht, was wir sehen, und spricht aus, was wir denken … Die Glasscherben, die das Stück einleiten sowie am Ende auch abschließen, lassen sich als eine Metapher für das gescheiterte System verstehen. Dass Maria die zerstörte Konversation oder auch Gesellschaft aufkehrt, zeigt, dass die wichtigste Person, die die Gesellschaft trägt, von Aushandlungsprozessen ausgeschlossen ist. Die vier sprechenden Figuren schauen weg, obwohl sie in der Lage wären, ihr eine Stimme zu verleihen. Über die Unterhaltung und Aussagen der Figuren kann gestritten werden und das ist auch gut so. Das Ziel des Stückes ist Anregung zum Dialog und stellt letztlich die Frage: Brauchen wir wirklich einen Fluss aus Blut, um endlich etwas zu ändern?«
Lucie Mohme, litlog.de 21.10.2020
»Was waren deine ersten Gedanken zu dem Gesehenen?<br />
Dass ich die ganzen Eindrücke schnell sortieren muss, bevor meine Erinnerung daran verschwimmt. Das Stück war so dicht und so schnell getaktet, aber ich hatte gleichzeitig das Gefühl, dass jedes einzelne Element wichtig ist, um am Ende wirklich verstehen zu können, was da gerade passiert ist. Man fragt sich ›Okay, was habe ich da gesehen und was bedeutet es?‹ und fängt dann an die Puzzleteile zusammenzufügen, das macht sehr viel Spaß! … Das zerbrechende Glas steht für das endgültige Misslingen der Kommunikation zwischen den Gesprächsteilnehmern. Und für das Zerbrechen der dünnen Schicht aus Normen und Illusionen, die diese Kommunikation überhaupt erst ermöglichen.« <br />
<br />
Gespräch zwischen Friederike Ammann, Lydia Förster und Jan Wernicke, Scharfer Blick/Kritikerclub 24.10.2021