Viele glauben sie zu kennen, die Geschichte vom Freiheitskämpfer Wilhelm Tell, dessen Widerstand gegen die Habsburger und ihre brachialen Machtdemonstrationen im Mord am Landvogt Gessler mündet. Von Gessler, der Tell zwingt, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen, und ihn trotz erfolgreichem Schuss gefangen nehmen lässt. Von Tells Flucht und seinem Mord an Gessler. Vom Tyrannenmord, der einen Aufstand und die Gründung der Eidgenossenschaft zur Folge hat.
Doch diese Geschichte ist vor allem eines: eine Legende. Joachim B. Schmidt entwirft in seinem »Tell« eine ganz andere Version dieser Legende, indem er alle Beteiligten zu Wort kommen lässt: Tells Familie ebenso wie Gessler, die beteiligten Soldaten, den Pfarrer. Schmidts Tell wird so zum wortkargen, einzelgängerischen Bergbauern, der eher zufällig in das Geschehen hineingerät.
Dieser Fülle von Perspektiven widmen sich vier Erzähler*innen, leihen einer Vielzahl von Figuren ihre Stimmen. Sie setzen die alte Erzählung neu zusammen, stoßen auf überraschende Wendungen und stellen Zusammenhänge her, die die Legende zu einer Erzählung über Missbrauch, Rache und Schuld werden lassen.
Pressestimmen
Uraufführung im Deutschen Theater Göttingen: »Tell« – aber neu erzählt »Auf der DT-Bühne erzählen die vier Akteure die Geschichte Tells neu … Florian Eppinger inszenierte nicht nur, er stand auch auf der Bühne. Gemeinsam mit seinen Schauspielerkollegen Lukas Beeler, Marco Matthes und Judith Strößenreuter präsentierte er das Geschehen teils lesend, teils leicht angespielt. Vier Akteure, die zwölf Figuren repräsentieren. Das ist nicht immer ganz leicht zu verfolgen, entwickelt aber einen dahinrauschenden Fluss, der die Theaterbesucher mitnimmt auf eine Reise in die schroffe und dabei so schöne Bergwelt der Schweizer Alpen. Auf der großen Bühne bewegt sich das starke Quartett … Das grandiose Bühnenbild hat Thomas Rump mit sehr einfachen Mitteln geschaffen, ein ganz großer Wurf. Atmosphäre schaffen vor diesem Bergprospekt zum einen die Musik, die Jan Beyer komponiert hat, und zum anderen das Licht, das DT-Beleuchtungschef Michael Lebensieg mit viel Gespür und Erfahrung meisterhaft eingerichtet hat. Viel kommt zusammen bei dieser Produktion. Drei Schauspieler und eine Schauspielerin, die sehr konzentriert und mit großer Präzision auf ganz hohem Niveau eine sprachmächtige Geschichte erzählen. Ein Bühnenbild, das sparsam überaus kraftvoll wird, und viel Atmosphäre, die den Saal umfängt.«
Peter Krüger-Lenz, Göttinger Tageblatt 4.10.2022
Der Apfelschuss neu erzählt »Mit seiner Bühnenfassung des Romans ›Tell‹ von Joachim B. Schmidt als Uraufführung hat DT-Schauspieler Florian Eppinger (Inszenierung) mit drei Mitwirkenden ›die Geschichte vom Apfelschuss neu erzählt‹ – ein spannender Abend … Ohne die großartige Leistung der Schauspieler wäre dieser besondere Abend nicht denkbar … Wie in jedem spannenden Fernsehfilm gibt es auch auf der Bühne Klänge, Melodien, manchmal sphärische Weisen (Musik: Jan-S. Beyer), die wie die Führung des Lichts (Beleuchtung: Michael Lebensieg) Atmosphäre beschwören. Nach stetig ansteigender Spannung in der fast zweistündigen Vorstellung ohne Pause erntet das Team ausgiebigen Applaus mit Trampeln und Bravos.«
Ute Lawrenz, HNA 4.10.2022
So spannend kann unaufgeregt sein - »Tell« »Der Beginn der neuen Spielzeit des Deutschen Theater Göttingen beginnt mit einer Inszenierung, die quasi auf Samtpfoten daher kommt … Der Besetzung von nur vier Schauspieler*innen (Lukas Beeler, Florian Eppinger, Marco Matthes und Judith Strößenreuter) gelingt es die vielen verschiedenen Rollen einzunehmen und klar zu skizzieren. Das macht dieses Stück zu einem ganz besonderen, intensiven Erlebnis. Die Entscheidung diese Inszenierung als szenische Lesung umzusetzen ist ganz ohne Zweifel eine richtige gewesen. So können wir uns ohne viel Ablenkung auf die einzelnen Personen konzentrieren, die ihren Einfluss auf die Entwicklung des Wilhelm Tells hatten. Mehr als nur ein Aha-Erlebnis darf das Publikum nach so einem Abend mit nach Hause nehmen.«
Ingrid Rosine Floerke, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 30.9.2022
»Die Schauspieler*innen sitzen an Holztischen, vor sich das Textbuch. Passagenweise wird gelesen, passagenweise auch auswendig rezitiert. Ihren Standort (auch zueinander) wechseln die Akteur*innen immer wieder, passend zu den jeweiligen Szenen. Die Textpassagen sind so verteilt, dass die Multiperspektivität nachvollziehbar gestaltet wird – hier braucht es nur zu Beginn ein paar Minuten, um in die verschiedenen Stimmen gedanklich einzufinden ... Florian Eppinger merkt man die intensive Beschäftigung mit dem Stoff an. Judith Strößenreuter gestaltet die Stimmen ihrer Erzähler*innen vielfältig und lässt sie doch nie ganz zur Karikatur verkommen. Lukas Beeler tänzelt sehr gekonnt auf einer Klaviatur von Selbstsicherheit, Schalk, jugendlicher Unbedarftheit und Lebenserfahrung herum und transportiert mit Blicken und Worten auch die leisen Töne ausgesprochen gelungen. Marco Matthes darf an diesem Abend einmal mehr Bandbreite zeigen, vor allem auch stimmliche und darstellerische Kraft … Der lange Applaus im nicht ausverkauften Haus zollt den darstellerischen Leistungen den nötigen Respekt.«
Marcel Lorenz, unddasleben.wordpress.com 3.10.2022