Vögel

Wajdi Mouawad
dt.1
Premiere 21. September 2019
Dauer 160 Minuten
Aus dem Französischen von Uli Menke | Zum Autor Wajdi Mouawad | Wajdi Mouawad schrieb eine moderne Version von »Romeo und Julia«, in der die Liebenden sich nicht mehr gegen atavistische Familienclans behaupten müssen. Seinem Liebespaar stellt sich in einer scheinbar grenzenlosen Welt die Frage, ob man der eigenen Geschichte entfliehen kann und soll. Im Libanon geboren (1968), floh Wajdi Mouawad im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Frankreich, das ihnen 1983 das Bleiberecht entzog. Die Familie zog weiter nach Kanada, das so zur Heimat für einen der spannendsten Theatermacher der Gegenwart wurde. Er gründete eine eigene Gruppe, wurde Theaterleiter und schlug schließlich wieder einen Bogen über den Atlantik mit der Gründung eines kanadisch-französischen Theaterprojekts, mit dem er seine Stücke entwickelt. Seit 2016 ist Mouawad als Leiter des Théâtre national de la Colline zurück in Paris. In seinen Werken treffen die Kulturen des Orients, der Alten und der Neuen Welt aufeinander und eröffnen neue poetische Räume.
In einer amerikanischen Universitätsbibliothek verlieben sich Wahida und Eitan ineinander. Sie Amerikanerin arabischer Abstammung, er Deutscher und jüdischen Glaubens. Sie promoviert über einen mittelalterlichen arabischen Diplomaten, der unter Zwang zum Christentum konvertierte, er studiert Genetik. Für sie spielt sich das Leben in einem Kontinuum von Erfahrung ab, für ihn ist es eine Aneinanderreihung von Zufällen. Auf einer gemeinsamen Reise in den Nahen Osten werden sie Opfer eines Attentats, bei dem Eitan schwer verletzt wird. Seine herbeigeeilte Familie bringt aber nicht nur Trost ans Krankenbett, mit ihr treten all jene Probleme zutage, die eine Liebe über die Grenzen zweier verfeindeter Kulturen mit sich bringt. Das junge Paar, das sich bisher unangefochten in einer globalisierten akademischen Welt bewegte, entdeckt, dass sich das Leben nicht nur im hier und jetzt abspielt. Sie realisieren, dass es Bindungen gibt, die weit in die Vergangenheit reichen und zerstörerische Kräfte freisetzen können.

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Pressestimmen

Inszenierung von »Vögel« ist ein ganz großer Wurf »›Vögel‹ von Wajdi Mouawad ist das Stück der Stunde … Premiere war am Sonnabend, und es war ein wuchtiger Abend … Die Spannung bleibt über die gesamte Spieldauer hoch. Nichts ist Tändelei, nichts überflüssig. Mit kompakter Wucht bricht die Geschichte über das Publikum herein … Auf ganz hohem Niveau agiert das Ensemble. Florian Eppinger, Angelika Fornell, Marco Matthes, Katharina Müller, Anna Paula Muth, Gregor Schleuning, Andrea Strube und Paul Wenning steigern sich geradezu in einen Spielrausch. Erstaunlich vor allem, mit wie viel Größe Muth Wahida spielt. Frisch von der Schauspielschule in Hannover engagiert, reiht sie sich umstandslos ein in ein brillantes Ensemble. Regisseurin Katharina Ramser ist … ein ganz großer Wurf gelungen, weil sie die Geschichte und die Verstrickungen des Figurentableaus überaus präzise und konzentriert ausgebreitet hat. Zu der großen Präsenz trägt auch das Bühnenbild bei, das Jeremias Böttcher mit Neonröhren sehr klar gestaltet hat. Mit Licht hat er Räume und Stimmungen geschaffen. Eine Drehbühne kommt sparsam und effektiv zum Einsatz. Unauffällig, aber unterstützend hat Franziska Ambühl die Kostüme entworfen, alltags- und bühnentauglich eben. Große Dramatik und Spannung trägt den Abend, die sich manchmal aber auch in befreiendes Lachen lösen. Hierfür ist vor allem Großvater Etgar zuständig, gespielt von Wenning. ›Und du glaubst, Gott hat ein ganzes Volk geschaffen nur um uns zu strafen?‹, sagt er einmal zu seinem Sohn. Klingt so überzeugend wie die ganze grandiose Produktion. Intendant Sidler meint, dass der Autor und sein Werk die Zeit überdauern werden. Diese Familiengeschichte, die eine große Geschichte von Hass und Glaube ist, von Wurzeln und Identität, unterstreicht das nachdrücklich.«
Peter Krüger-Lenz, Göttinger-Tageblatt-online 22.9.2019

Das Ich und der Nahe Osten »Am Samstagabend wurde die Premiere mit langem Applaus, Bravo-Rufen und Fußtrampeln gefeiert. Das Publikum erlebte intelligentes, relevantes Theater, ein spannendes Gegenwartsstück, das die großen Konflikte unserer Zeit verhandelt und zu Recht deutschlandweit zu den meistgespielten Dramen der Saison zählt … Regisseurin Katharina Ramser und Bühnenbildner Jeremias Böttcher lassen die wuchtigen Dialoge auf fast leerer Bühne wirken, Leuchtstäbe erhellen schwarze Flächen, manchmal sind Figuren durch halbtransparente Gazevorhänge voneinander getrennt. Das passt gut zur Rückblendendramaturgie des Textes, der mit Scharfen Schnitten zwischen den Zeitebenen springt … Florian Eppinger macht dies zu einem zutiefst bewegenden Theatermoment, als er zeigt, wie der Kopf manchmal nicht in der Lage ist, eine Erkenntnis wirklich zu fassen … Anna Paula Muth macht im Blumenkleid mit jugendlichem Ungestüm und wachsender Unbedingtheit spürbar, wie Wahidas Persönlichkeit gestärkt wird, in dem sie sich ihrer Herkunft stellt … Vor allem Paul Wenning und Angelika Fornell bringen dann als Großeltern die emotionale Ebene ins Spiel – das changiert zwischen unbedingter Zugewandtheit und auch Bitterkeit … Ein Abend der unter die Haut geht.«
Bettina Fraschke, HNA 23.9.2019

Sie kommen zusammen, um auseinanderzufallen – Vögel »Die neue Spielzeit des Deutschen Theater Göttingen gibt mit der Premiere ›Vögel‹ einen eindrucksvollen Blick darauf, was Theater sein kann; nämlich eine Begegnungsstätte wo während der Pause des Stückes nicht einfach nur ein Sektchen geschlürft wird und über das anhaltend gute Spätsommerwetter geplaudert wird, sondern man findet sich unvermittelt in einem anregenden Gespräch über die vielschichtigen Dimensionen der Dramaturgie und dessen Bezüge zum realen Leben wieder. Das Stück des Autoren Wajdi Mouawad macht etwas mit einem. Es regt an über vieles nachzudenken, allem voran über die Frage nach der eigenen Identität … Durch die Reduktion des Bühnenbildes (Jeremias Böttcher) kann man sich auf das Gesprochene gut einlassen und sich berühren lassen. Das ist manchmal starker Tobak, manchmal auch anstrengend, aber so intelligent gemacht und so intensiv, dass sogar Tränen im Publikum fließen könnten. Die gesamte Inszenierung (Regie Katharina Ramser) ist dennoch angenehm zurückhaltend. Die dunkel in einer Farbfamilie gehaltenen Kostüme (Franziska Ambühl), die mit nur wenigen Requisiten ausgestattete Bühne, die pointiert eingesetzte, gefühlvolle Musik, wirken dabei aber gleichzeitig immer genau richtig den Inhalt unterstützend. Dieses Zusammenspiel trägt das Ensemble harmonisch durch den Abend und lässt alle in ihren Rollen ausdrucksstark überzeugen, insbesondere die Zerrissenheit von Eitan (Gregor Schleuning) gibt den Abend einen Rahmen gefüllt mit großen Gefühlen. Mit einfachen Mitteln wie Lichtwechsel und leichten Bewegungen im Raum gelingen klare und nachvollziehbare Zeitsprünge … Es war ganz sicher eine kluge Entscheidung des Intendanten Erich Sidler ein so starkes Stück mit bleibendem Wert auf den Spielplan zu bringen.«
Ingrid Rosine Floerke, Scharfer Blick/Kritikerclub 23.9.2019

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