Theater einBLICK

24.09.2025

»Jeder stirbt für sich allein« – Widerstand gegen den Nationalsozialismus

Hedda Rienäcker, Scharfer Blick / Kritiker*innenclub 23.9.2025
Jeder stirbt für sich allein
Zum Stück

Diese Inszenierung von Hans Falladas Roman »Jeder stirbt für sich allein« durch den Regisseur Matthias Spaan spielt in der Zeit des Dritten Reiches und zeigt bedrückend eindrücklich Schrecken, Entsetzen und Ohnmacht in einem unmenschlichen Regime.

 

Sie sitzt auf dem Stuhl. Lange. Sie beobachtet. Und sieht. Sie sieht einen Kubus, der auf der Bühne des Deutschen Theaters in Göttingen heute Abend den größten räumlichen Platz einnimmt. Sie sieht durch die sich öffnenden Gardinen in das Wohnzimmer eines älteren Ehepaares, es sind Otto und Anna Quangel, die schon lange verheiratet sind.

 

Anna hält einen Brief in den Händen, sie hat Feldpost von der Heeresstelle ihres Sohnes erhalten, öffnet sie und liest den Brief mit zunehmender Bestürzung immer wieder. Erst nach einer kleinen Ewigkeit kann sie auf Ottos Frage nach ihrem gemeinsamen Sohn antworten. Er ist gefallen, totgeschossen.

 

Bei beiden entsteht, voll Trauer über den Tod ihres Sohnes, voll Wut und Verzweiflung über die Verlogenheit des Regimes, die erste Idee zum Widerstand gegen den National-sozialismus. Sie wollen mit ihren Möglichkeiten diesem Machthaber, den wir als Hitler kennen, entgegentreten. Sie entschließen sich, Karten mit Texten wie: „Hitler hat meinen Sohn ermordet“ zu schreiben und verteilen sie in Wohnhäusern. Sie sind mutig, setzen sie sich doch der Gefahr des ›Erwischtwerdens‹ durch die SS aus. Aller Vorsicht zum Trotz müssen sie ihren Einsatz mit ihrem Leben bezahlen, denn das Bespitzeltwerden durch Nachbarn gehört zum täglichen Leben.

 

Nicht nur Anna und Otto haben es schwer. Die Nachbarn in ihrem Mietshaus ebenso: Da lebt unter anderem Eva, die von ihrem Mann Enno betrogen und bestohlen wird (Nathalie Thiede/Volker Muthmann) und der unschuldig von Kommissar Escherich (Daniel Mühe) als schuldig für die Karten von Otto und Anna überführt werden soll. Kommissar Escherich wurde hingegen selbst handgreiflich von Obergruppenführer Prall (Leonard Wilhelm) unter Druck gesetzt und gezwungen, den Schuldigen für die Protestaktion der Quangels zu finden.

 

Ganz am Ende der Aufführung hören wir Frau Rosenthal, die ihre sitzende Position vom Anfang verlässt. Ihr Schicksal ist ergreifend: als Jüdin von einem Nachbarn versteckt, von einem HJ-Mitglied verraten und schließlich verzweifelt sich selbst in den Tod stürzend: »Selbst entscheiden. Zum letzten Mal.«

 

In dieser Inszenierung wird zum einen deutlich, wie trotz Ohnmacht, Wut und Verzweiflung in einem diktatorischen System die eigene (Macht-) Möglichkeit für ein soziales und menschliches Engagement besteht und umgesetzt wird. Zum andern erreicht die überzeugende Darstellung von Sozialkritik, Gesellschaftsproblematik und Politik – durch die Intensität der Sprache noch verstärkt – das Publikum und lässt es nicht los.